Allen Menschen gemein ist, einen Geburtstag zu haben. Diesen kann man feiern, muss man aber nicht. Einige mögen ihn nicht feiern, andere Wintergeborene versprechen, ihn im Sommer nachzufeiern, wieder anderen ist ihr genaues Geburtsdatum unbekannt. Häufig fehlen beispielsweise Waisen ihre Geburtsurkunden. Oder Menschen sind in Situationen geboren, in denen die Dokumentation z.B. durch fehlende Ämter nicht möglich war. Der Philosoph Stefan Heidenreich sagt, dass jährlich 50 Millionen Kinder ohne schriftliche Aufzeichnung geboren werden. Das ist jedes dritte Kind! In diesen Fällen kann eine ärztliche Untersuchung helfen, das Datum einzugrenzen und zu schätzen. Denn das Geburtsdatum ist für den Großteil der Menschheit nicht nur wegen der behördlichen Erfassung wichtig, sondern auch, weil wir uns darüber identifizieren, nicht selten in einem feierlichen Rahmen.

Die Stadt Hamburg musste in diesem Jahr auf ein Geburtstagsfest verzichten. Sie hätte unter nicht-pandemischen Umständen nicht den eines besonderen Menschen, sondern den Geburtstag des berühmten Hafens gefeiert. Man kann sich bisweilen fragen, warum nicht ein Hafenjubiläum oder schlicht ein Hafentag, sondern ein Hafengeburtstag jährlich Anfang Mai begangen werden muss. Es war mir schon immer ein Rätsel, warum auf diesen Anthropomorphismus bei der Benennung des Volksfests nicht verzichtet werden konnte. Dieser Begriff scheint schon so sehr in das popkulturelle Selbstverständnis der Stadt gesickert zu sein, dass niemand mehr fragt, ob ein Ort Geburtstag haben kann, oder nicht. Es scheint auch niemanden in der alljährlich millionenfach antanzenden Gastmasse zu interessieren, dass die vermeintliche „Geburtsurkunde“ gefälscht ist. Historiographische Akkuratesse geht wieder einmal maximal erwartbar im Budenlärm unter. 

Rückblick aufs Geburtstagfeiern

Die private Geburtstagsfeier ist eine schon in der Antike belegte Praktik. Jährlich wiederkehrende kollektive Feierlichkeiten und Jubiläen zu bestimmten Ereignissen gibt es schon viel länger, etwa zur Ernte und militärischen Daten oder zu Ehren von Herrschern, Göttern oder Heiligen. Das Christentum versuchte vergeblich, das private Fest als Pietätlosigkeit zu verbieten, mit dem Verweis auf den einzig wichtigen Geburtstag seines Sektenführers. Die Kirche beugte sich allerdings der Tradition der Bevölkerung und sprach sich stattdessen für Maßregelung und Sittsamkeit und gegen die „Schwüle der Vergnügungen, die Belastung des Bauches, die Zerrüttung des Geistes“ an diesem Tag aus. Auch überschrieben die Christen systematisch viele Fest- und Geburtstage des römischen Kalenders, deren Name als natalis, als Geburt, dabei erhalten blieb. Bspw. wurde die Einweihung einer Kirche als natalis templi gefeiert.

Was feiert Hamburg da eigentlich?

die Fälschung

Es handelt sich um ein Dokument, das am 7. Mai 1189 von Kaiser Friedrich Barbarossa an den Grafen und Gründer der Hamburger Neustadt Adolf III. ausgestellt worden sein soll. Hierin sollten den Kaufleuten des Hamburger Hafens folgende Privilegien bestätigt werden:

  • Freier Handelsverkehr und Zollfreiheit auf der Niederelbe bis zur Elbmündung
  • Fischereirechte auf der Elbe im Umkreis von 2 Meilen in Holstein und in der Bille
  • in der Grafschaft Holstein darf Bauholz geschlagen und Vieh geweidet werden
  • Die Heerpflicht wurde aufgehoben, die Bürger von Hamburg mussten nur noch für den Schutz Hamburgs sorgen.
  • Im Umkreis von 15 Kilometern rund um Hamburg durfte keine weitere Burg errichtet werden.

Das Original, das zu dem gefeierten Zeitpunkt erschienen sein soll, verschwand und erhalten sind nur zwei Fälschungen des Jahres 1225 bzw. 1265. Auch wenn die Geschichtswissenschaft die Existenz des Originals für wahrscheinlich hält, ist nicht herauszufinden, was wirklich drin stand und welche Rechte die Kaufleute in der Zwischenzeit bis zur Fälschung tatsächlich innehatten.

Feiern Hamburger*innen dieses fragwürdige Datum schon seit 831 Jahren?

Mitnichten, denn diese Geburtstagsparty ist eine neuzeitliche Erfindung.

Plakat zum 750. Jahrestag des Hafens 1939 von Bruno Karberg

1889 feierte Hamburg zum ersten Mal am Hafen dessen vermeintlich 700. Jahrestag. Fünfzig Jahre später sahen dann die Hamburger Nationalsozialisten ihre Chance, eine große Prestigeveranstaltung im Mai 1939, vier Monate vor der Invasion Polens, auf die Beine zu stellen. Zwei Jahre lang planten sie zu dem aufwändigen mehrtägigen Festprogramm des Hansetags, ausgeschmückt mit Musik, Empfängen, Pferdesport und Sondervorführungen der Wehrmacht, auch noch eine halbjährige internationale Handels- und Schifffahrtsausstellung. Reichsstatthalter Karl Kaufmann betonte in einem Brief an Joseph Goebbels, dass es sich hierbei um eine „nicht wiederkehrende Gelegenheit“ handle, „eine großzügige Werbeaktion für das neue Groß-Hamburg durchzuführen.“ Hitler war von der geplanten Größe der Veranstaltung nicht überzeugt, da er vermutete, dass die geladenen Gäste sie für Friedensparolen nutzen würden. Schließlich fiel der Hansetag auch bescheidener aus. Abgesandte vor allem französischer und britischer Städte sagten ab oder ließen die Einladung unbeantwortet. Und tatsächlich appellierte der Antwerpener Oberbürgermeister Camille Huysmans in zwei Ansprachen an friedliche Zusammenarbeit.

In der Nachkriegszeit blieb der Überseetag dann zehn Jahre lang eine geschlossene Veranstaltung. Sie diente hauptsächlich dazu, Wirtschaftslobbyisten aus dem In- und Ausland auf Hafenrundfahrten schaukelnd über die „Positionierung [Deutschlands] in Nachkriegseuropa“ beraten zu lassen. Zu den Entwicklungen des Hafengeburtstags in der Nachkriegszeit verspricht der hier zitierte Hamburger Historiker Christoph Strupp, bald Neues zu publizieren.

Schon 1962 mehrten sich aber die Stimmen, die eine Öffnung hin zu einem großen Fest für die Bevölkerung forderten. Vor allem die querulierende CDU-Opposition und die Bild-Zeitung verlangten einen Hamburger Hafentag und „Gewimmel am Hafen“. Die SPD argumentierte sinngemäß „Aber die Hamburger kennen doch ihren Hafen, wozu dann das Spektakel?“

Nachdem am Überseetag 1964 trotz geschlossener Veranstaltung 750 000 Menschen an die Elbe strömten und Stadtteile im Chaos versanken, wollte man ihn fast ganz einstellen. Aber 1977 kam dann das erste offizielle Volksfest namens Hafengeburtstag.

Fazit: Warum denn dann „Geburtstag“ ?

Tragen wir einmal zusammen und versuchen wir für die Verwendung des Wortes Geburtstag zu argumentieren: Ein Geburtstag ist für den Menschen schon über Jahrtausende eine identitätsstiftende Angelegenheit. Man feiert entweder bescheiden oder ausgelassen, aber auf jeden Fall sich selbst. Die über die Jahrhunderte gewachsene PR-Masche der Stadt Hamburg sieht im Hafen und seiner Kapazität als Wohlstandsmehrer DIE Stadtidentität schlechthin. Sehen wir aus Platzgründen mal davon ab zu erörtern, warum der Identitätsbegriff hier ohnehin kompliziert ist: Warum nicht auch das Datum feiern, an dem dem kommerziellen Erfolg die erste größere Ausdehnung ermöglicht wurde, die durch Industrialisierung und weltweitem (Kolonial-)Warenhandel in den letzten Jahrhunderten noch prominenter wurde?

Und noch einmal anders und schmeichelhafter gefragt: Könnte es sein, dass auch die Benennung dieses Volksfests auf eine viel ältere Tradition zurück geht? Haben sich die Verantwortlichen dabei auf die Umdeutung von heidnischen Feiertagen in den christlichen Festkanon berufen? Haben sie also die natalis auch als Einweihung verwertet?

Apropos Christen: Wen nimmt es wunder, dass sich die CDU-Fraktion in den 1960ern gegen ihre von Religionswegen gebotene Sittsamkeit zu Geburtstagsfeiern und für das protzige Fest einsetzte? Welchen Anteil hatte das Begehren der Bevölkerung für die Schaffung dieses Fests, wie wir es kennen?

Leider ist die Forschung zum Thema noch äußerst lückenhaft. Daher bleibt mir wieder einmal nichts anderes, als bei der Stadt selbst auf eine hinreichende Antwort zu hoffen. Diese werde ich hier selbstverständlich einstellen. Genau so auch den Verweis auf Christoph Strupps kommende Publikation zum Thema.

Aber was sagt 50 Cent dazu?

Bis dahin müssen wir davon ausgehen, dass das Etikett Geburtstag für das Fest am Hamburger Hafen nie wirklich ernst genommen wurde und dass es ebenso erkenntnisreich scheint, nach verwandten Narrativen der Popkultur zu suchen. Hierzu als Schlusswort ein Stück aus dem massentauglichen Gangstarap der frühen 2000er-Jahre:

Go, go, go, go go, go, go, 
shawty It's your birthday
We gon' party like it's yo birthday
We gon' sip Bacardi like it's your birthday
And you know we don't give a fuck
It's not your birthday!

(Curtis „50 Cent“ Jackson, Titel: In da Club, Album: Get Rich Or Die Tryin')

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