Ich duze meine Freunde und Bekannten, jüngere Leute und Fremde, die ich gleichaltrig einschätze. Häufig überlasse ich es auch meiner Intuition zu entscheiden, ob ich auch offensichtlich ältere Fremde duzen kann. Es hängt eben oft von Situationen und Orten ab. In alltäglichen Zweifelsfällen: lieber einmal mehr Sie als weniger. Möcht‘ ja nicht unhöflich sein.

Hände hoch, wer sich nicht wenigstens kurz übertölpelt fühlt, wenn er*sie geduzt wurde, obwohl da gefühlt ein Sie hätte kommen müssen. Als Dreißigjährige, gefangen im Körper eines pubertierenden Jungen, hätte ich da ein paar Anekdoten. Jüngst haben einige große Namen der deutschen Wirtschaft das Sich-im-Ton-Vergreifen zum PR-Programm gemacht.

Die Deutsche Bahn hat einen Testlauf auf ihren Social-Media-Kanälen unternommen und ihre Publikumsansprache dort vom Sie zum Du geändert. Ungefähr zur selben Zeit tat die Business-Plattform Xing es ihr gleich. Wozu das Ganze? Duzen sei unterm Strich moderner, argumentieren die Unternehmen.

Am Ende der dreimonatigen Testphase entschied sich die Deutsche Bahn, diese Variante auch langfristig beizubehalten. Im Kundenservice und auch im Zugverkehr bliebe man aber weiterhin beim Sie. In einem kurzen Statement gibt das Unternehmen zu: die Reaktionen der Nutzer*innen seien uneindeutig gewesen, letztlich hätte es das positive Feedback als Bestätigung der Modernisierung gesehen. Die Berliner Werbeagentur Buddybrand bestärkt die Deutsche Bahn seit Ende 2019 darin und reichert ihre Social Media-Kommunikation jetzt sogar mit eigens gestalteten GIFs und Memes an.

Ihrer Sache noch sicherer waren die Betreiber*innen von Xing. Hier gab es schon im Mai einen Website-Beitrag mit konkreter Begründung für den Schritt zum Du. Die Geschäftsführerin Dr. Sabrina Zeplin argumentierte, dass das Sie „für eine hierarchische Denk- und Arbeitsweise“ steht und dass sich in der „Zukunft der Arbeit niemand mehr aufgrund des Alters oder der Position wichtiger fühlen dürfe als irgendjemand anderes“. Außerdem ließe sich ein Wir-Gefühl im Arbeitsumfeld eher vom Du herstellen als vom Sie. Diese konjugatorische Entwicklung hätte auch schon in anderen deutschen „Traditions-Unternehmen“ Einzug gehalten.

Hier fehlt aber der logische Brückenschlag zu den Verbraucher*innen. Das Du im Unternehmen ist ja nachvollziehbar. Das sind Gruppen von Arbeitskolleg*innen und deren Vorgesetzten, die sich auf die Du-Umgangsform geeinigt haben. Aber was bedeutet das für die Menschen, die das Produkt des Unternehmens kaufen, oder deren Dienstleistung in Anspruch nehmen?

Die Kommentarspalte unter dem Beitrag von Dr. Zeplin sieht erwartbar kommentarspaltig aus. Männer mittleren Alters schreiben, als hätte man ihnen über Nacht eine Niere aus dem Bauch gestohlen und sie mit einer Dose Kidney-Bohnen ersetzt. „Über die Köpfe hinweg“ „gegen den Willen der Kunden“ „herabgewürdigt zum namenlosen Untertanen“, „Spreche ich mit Menschen aus anderen Kulturkreisen so beachte ich deren Gepflogenheiten. Warum aber sollen wir nun unsere eigenen Gepflogenheiten einer angelsächsisch / us-amerikanischen opfern? Das hat was Auto-Despektierliches“, „Siehe Geschichte!“.

Filtert man aber dieses Rauschen heraus, bleibt doch aber die Frage: Ist das Du die Zukunft?

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